Oel Ngati Kameie

Die Wahr­neh­mung der Na’­vi von Raum, Zeit und der Ein­heit aller Din­ge resul­tiert in dem Kon­zept des “Sehens”. Mit den Augen sehen und “sehen” sind zwei ver­schie­de­ne Wör­ter in der Spra­che der Na’­vi — tse­’a und kame -, was die kul­tu­rel­le Bedeu­tung die­ser Unter­schei­dung wider­spie­gelt. Das Wort kame ist nuan­ciert, mit sub­ti­len Bedeu­tungs­ebe­nen, die man selbst erfah­ren muss, um es wirk­lich zu ver­ste­hen. Die Na’­vi sagen, dass man das Sehen nicht ler­nen kann.

Kame bedeu­tet, sich selbst dar­an zu erin­nern, ver­gan­ge­ne Erfah­run­gen, ins­be­son­de­re nega­ti­ve, los­zu­las­sen und neue Ein­drü­cke und Erfah­run­gen in sich auf­zu­neh­men, als ob man ihnen zum ers­ten Mal begeg­net. Wenn man kame lernt, sind Schmerz und Leid leich­ter zu ertra­gen, Ant­wor­ten auf bren­nen­de Fra­gen wer­den offen­bart, und das Schick­sal führt den Seher zur Erfül­lung sei­ner Bestimmung.

Kame bedeu­tet, sein Herz mit einem kind­li­chen Stau­nen für die Welt zu öff­nen. Es bedeu­tet, sich mit der Natur und mit­ein­an­der auf einer spi­ri­tu­el­len Ebe­ne zu ver­bin­den. Wenn die Na’­vi ein­an­der begeg­nen oder sich begrü­ßen, ver­wen­den sie den Aus­druck oel nga­ti kameie, “Ich sehe dich”. Das kann bedeu­ten: “Ich erken­ne und ver­ste­he dich”, “Ich sehe, wer du bist”, “Ich schät­ze dich” oder sogar “Ich lie­be dich”. Wenn ein Na’­vi einen ande­ren bit­tet, ihn zu sehen, bit­tet er sein Gegen­über, alle vor­ge­fass­ten Mei­nun­gen bei­sei­te zu legen.

Oel nga­ti kameie wird oft von einer Hand­ges­te beglei­tet: Eine Hand wird an die Stirn gelegt, bevor die Ges­te in Rich­tung des Gese­he­nen und dann nach unten geführt wird.

Wenn ein Na’­vi-Jäger ein Tier erlegt, spricht er ein Gebet für das Tier, um es zu ehren und ihm zu dan­ken, und sagt dabei oel nga­ti kameie. Ein Bei­spiel für ein sol­ches Gebet ist:

Oel nga­ti kameie, ma tsmu­kan, ulte nga­ru seiyi irayo.
Nga­ri hu Eywa salew tirea, tokx ’ì’awn slu Na’viyä hapxì.

“Ich sehe dich, Bru­der, und dan­ke dir.
Dein Geist geht mit Eywa, dein Kör­per bleibt zurück und wird Teil des Volkes.”